Gut zu wissen
«Ich gehe jetzt mit meinem Sohn Fortnite spielen.»
Dr. Mela Kocher, Senior Researcherin in der Fachrichtung Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste, im Gespräch über digitale Spiele für Kinder und Jugendliche. Wann sie ihre Kids ans Tablet liess, warum Bücher und digitale Spiel gar nicht so unähnlich sind und warum Minecraft-Spieler*innen angehende Architekt*innen sein könnten – Das alles erfahren Sie im Interview
Bild: Dr. Mela Kocher, 2021
Interview by Ines Hayle
am 18. März 2021
Ines: Ich freue mich sehr, von deiner Expertise über digitales Spielen für und mit Kindern und Jugendlichen zu erfahren. Du hast einen beeindruckenden Lebenslauf. 

Mela: Damals habe ich mit dem Lic. abgeschlossen in Germanistik, (Technik-)Geschichte und Informatik und dann habe ich eine Stelle am Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM) angefangen. In diesem Rahmen habe ich an meinem Dissertationprojekt und am Aufbau des Schwerpunkts zu Interaktiven Kinder- und Jugendmedien am SIKJM gearbeitet.

Ines: Dann bist du die Expertin, wenn es um Kinder, Jugendliche und digitale Spiele geht. 

Mela: Genau!

Ines: In der Schweiz spielen über die Hälfte aller 6-jährigen Kinder digital. Tendenz steigend. Wie stehst du dazu?

Mela: Es ist mega wichtig, die Kommunikation offen zu halten, denn später im Teenie-Alter wollen die Kinder nicht immer alles zeigen, was sie machen. Dann ist es wichtig, eine Basis zu haben, über Medienkultur, Medienkonsum, Inhalte, Genderstereotypisierungsproblematik und so weiter und dass sich das etabliert hat, dass man darüber redet. Ich habe meine Kinder im Vorschulalter ans iPad gelassen und sie in meiner Arbeit beim Institut für Kinder- und Jugendmedien miteinbezogen. Dort haben wir auch Studien gemacht zu Vorschul-Apps für 4-jährige Kinder zum Beispiel. Unter diesen Apps hatte es einen Haufen Blödsinn, aber auch spannende Sachen, wo man mit Buchstaben, mit Farben, mit Tönen experimentieren kann. Und wieso nicht, Games sind ein Medium neben anderen. 

'Ich glaube persönlich daran, dass man als Eltern oder Lehrpersonen Kinder schon von Anfang an begleiten sollte und als Gesprächspartner, als Expert*innen dabei sein sollte.'  - Mela, 2021

Ines: Was sind die Lernmöglichkeiten in den digitalen Spielen?

'Die sind richtig gross: Man kann schlaue Sachen oder Blödsinn lernen. Wie auch Bücher nicht per se einfach super sind. Was in Büchern oder Heftchen steht, da gibt es ja auch verschiedene Qualitäten oder Inhalte.' - Mela, 2021

Mela: Es gibt dezidierte Lernapps, Serious Games, die entwickelt wurden, um Lerninhalt zu vermitteln. Dort gibt es gute und weniger gute. Solche, die funktionieren, die sich konstruktiv mit dem Inhalt auseinandersetzen, aber trotzdem auch Spass machen. Wenn ein Game nicht Spass macht, wird es von den Kindern nicht gespielt, ausser es findet zum Beispiel im Rahmen des Unterrichts statt. Man kann auch von Spielen auch anderes lernen. Gerade kürzlich kam ein Beitrag in den Medien, dass im Human Resource Sektor bei der Jobsuche auch «Gaming Literacy» erkannt wird. Jugendliche, die sich mit komplexen Games auseinandersetzen, sollen demnach im Projektmanagement ganz viele Tasks gleichzeitig oder parallel übernehmen können oder eigene Fähigkeiten gut einschätzen können, und hätten bessere Chancen auf dem Jobmarkt. Wenn wir an einen 6-Jährigen denken, dann ist das noch weit weg, aber im Prinzip ist das eine Medienkultur, in die wir uns entwickeln. Auch im 3D-Bereich kann man viel lernen, zum Beispiel lässt sich in Minecraft Orientierung und Geometrie üben. 

Ines: Jetzt, wo du Minecraft erwähnst, gibt es weitere Spiele, die du empfehlen kannst aus dem App-Store oder für die Switch oder andere Konsolen? 

'Ich denke mir immer, es hat so viele Spiele und so viele Geschmäcker: für jeden etwas!' - Mela, 2021

Mela: Im Vorschulbereich kann ich «Kleiner Fuchs Kinderlieder» empfehlen. Da hast du Geschichten und Lieder, dann kann du singen wie im Karaoke, hast wunderschöne ruhige gezeichnete Bilder, aber kannst auch mit Musik experimentieren und aktiv werden. Eher «Play» wie auf einem Spielplatz und sich selber austoben, als ein Spiel abarbeiten. Ich persönlich bin ein Fan von Adventure-Games wie Monkey Island, also solche Spiele, in denen es Rätsel hat oder ein Problem gibt, für welches man eine Lösung finden muss. Man weiss, dass es eine Lösung gibt, und man muss suchen und nachdenken. Das ist ein Skill, den ich mir während der Arbeit an meiner Dissertation angeeignet habe: Ich musste viele Adventure Games testen. Der Modus, «es gibt eine Lösung, du musst nur suchen», den habe ich für mein Leben und meinen Alltag übernommen. Der Transfer vom Spiel ins Leben passiert aber nicht einfach so; das muss man bewusst gestalten. Dies meine ich auch als Antwort auf die Frage, was lernen die Kinder im Spiel und was passiert im Alltag? Man überträgt das nämlich nicht einfach so, weil es eine andere Rahmung, ein «Frame» ist. 
Und sonstige Spieltipps: ich finde auch Roblox gut, das ist eine App oder Plattform mit Minigames. Ich spiele es online mit meinen Kindern. Von der visuellen Qualität ist es echt trashig, aber dafür sind es Autorengames. Ich finde sie lustig und man kann sie gut zusammenspielen, absurde Aktivitäten machen wie Burger im Restaurant braten oder um die Wette Rasenmähen. 

Ines: Gibt es auch Risiken bei digitalen Spielen, wo es nötig ist, dass Eltern ihre Kinder begleiten müssen? 

'Ich würde die Kinder auf jeden Fall begleiten.' - Mela, 2021

Mela: Ich bin ein Fan davon, dass man die Spiele in der Stube spielen lässt und nicht im Kinderzimmer hinter geschlossenen Türen. Auf diese Weise sieht und hört man, was gespielt wird. Ein Risiko ist der Zeitfaktor. Die Spiele sind so gemacht, dass man sie lange und wiederholt spielt. Von dem her sind es mega Zeitfresser! Da muss man als Eltern darauf achten, dass man Abmachungen trifft. Es gibt auch Bildschirmzeiten, die von der ZHAW für angewandte Psychologie sehr sinnvoll vorgeschlagen werden. Da kann man sich sicher daran halten. Man muss sich aber auch fragen: Was sind das für Spiele, welche die Kinder spielen? Wenn sie ein kleines Minigame spielen und es ist bald Essenszeit, dann können sie gut nur 5 Minuten lang spielen und dann Schluss machen. Aber wenn sie in einem Strategiespiel eine Kampagne beginnen wollen vor dem Essen, ist das keine gute Idee. Man muss das Frustrationspotenzial beim Kind eingrenzen, dass man nicht gerade Unmögliches von ihm verlangt. Das wäre also ein Risiko, der Zeitfaktor; und andererseits sind es die Inhalte und Mechaniken, die man vorfindet. Aggressionen, Gewalt, aber auch Geschlechterstereotypen. Ich finde, klar gibt es altersgerechte und nicht altersgerechte Spiele. Sie sind deklariert mit PEGI-Kennzeichnungen, die sinnvoll sind. Man kann sich daran halten. Aber gewisse Online-Spiele im Multiplayermodus wie Fortnite – ein Spiel, das für Kinder in der Mittelstufe sehr attraktiv ist –, die haben nicht immer Alterskennzeichnung. Man kann es – je nach Typ – ab 10 Jahren oder 11 Jahren spielen lassen, am besten auf Probe. Man kann zuschauen und es immer wieder mit den Kindern besprechen. Ich finde die Kommunikation über Inhalte sehr wichtig: «Du, schau mal, wie diese Männer- oder Frauenfiguren aussehen, findest du das realistisch?» Man kann das als Anlass nehmen, um darüber zu reden, ohne es aber zu verteufeln. Oder auch über spielbasierte Gewaltinhalte und -Handlungen sollte man reden. Es ist ein Teil der Kultur und ich glaube, den Kindern verbieten, diese Actionspiele zu spielen, führt dazu, dass sie es heimlich machen. Dann ist es einem wie entzogen. 

Ines: Abschliessend, hast du noch einen persönlichen Tipp für Eltern?

Mela: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, viele Eltern haben das Gefühl, es gibt eine Schwelle, wie dass sie selber nicht interessiert sind oder sie nicht viel zu sagen haben. Ich möchte sie ermuntern, sich darauf einzulassen und einmal etwas zu spielen. Selbst zu erleben, dass es nämlich auch Spass macht oder man etwas lernt. Und sich das auch mal etwas vom Kind zeigen zu lassen. Ich behaupte, dass es für jeden ein digitales Spiel gibt, das mega Spass macht. Man muss es einfach nur finden. 

Ines: Danke viel, viel Mal, liebe Mela! Dann trage ich diese Botschaft gerne an die Eltern. 

Mela: Gerne geschehen! Vielen Dank und viel Erfolg auf deiner Mission! (…) Ich gehe jetzt mit meinem Sohn Fortnite spielen. Tschüüss!


Link zum Artikel, den Dr. Mela Kocher erwähnt hat im Zusammenhang mit gefragten Gaming-Fähigkeiten:
https://www.tagblatt.ch/leben/human-resources-gamer-trainieren-gefragte-faehigkeiten-das-merken-nun-auch-personalberater-ld.2113723​​​​​​​
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