Gut zu wissen
Kinder für die 
(virtuelle) Welt gut rüsten
Dr. Florian Lippuner ist promovierter Kommunikationswissenschaftler mit Schwerpunkt Games. Herr Lippuner ist Vater eines 3-jährigen Sohnes, mit dem er die Welt der Games nochmals neu erlebt. Erfahren Sie im Interview mit Florian Lippuner, wie Eltern damit umgehen können, wenn ihre Sprösslinge gerne gewalthaltige Computerspiele nutzen und wie Kinder grundsätzlich für digitale Spiele und damit für das Leben gewappnet werden können. 
Bild: girlscouts.org
Interview by Ines Hayle
am 30. März 2021

Ines: Fortnite ist das beliebteste digitale Spiel bei Kindern ab bereits 8-9 Jahren. Das ist ein Abenteuerspiel bei dem «kinderfreundliche» Gewalt vorkommt, welche Eltern aber sehr abschreckend finden können. Warum sind Kinder von Fortnite so fasziniert? 

Dr. Florian Lippuner: Ich denke erst mal, dass das jetzt aus Sicht von Kindern nachvollziehbar ist, dass verbotene Dinge einen Reiz haben. Ihnen ist also kein Vorwurf zu machen. Bei Kindern sind aber die Erziehungspersonen in der Pflicht, das zu regulieren oder zu unterbinden. Spielt ein 9-Jähriger regelmässig Fortnite, so ist den Eltern der Vorwurf zu machen. Und Fortnite ist dann wohl auch nicht das grösste Problem solcher Kinder, sondern mangelnde elterliche Guidelines oder fehlende Freizeitangebote etc.
Ausserdem: In zwei Jahren kommt sowieso etwas anderes, vor dem viele Erziehungspersonen wieder Angst haben. Man kann in diesem Dschungel von Games gar nicht den Überblick behalten. Man muss das auch nicht. Man kann Kinder nicht vor allem beschützen. Auch nicht vor gewissen Games. 
Jetzt grundsätzlich zur Gewalt in Spielen: Letztlich sollte über Altersempfehlungen gewährleistet sein, dass dem Alter entsprechende Inhalte konsumiert werden. Aber erstens ist das keine Garantie und zweitens sind nicht alle Kinder gleich erfahren im Umgang mit Medien und auch nicht bei der Verarbeitung der Inhalte. 

Gut ist immer, wenn Kinder und Jugendliche möglichst «gut gerüstet» in die virtuelle Welt eintauchen. Sie sind den Inhalten der Spiele nie schutzlos ausgeliefert. Entscheidend ist, was sie mit den Spielangeboten anfangen. Was bringen sie für Werte mit, etwa aus ihrem Elternhaus. Wie gut können sie unterscheiden, was real und was Spiel ist. Was für andere Aktivitäten und Hobbys haben sie. Wie gut sind sie sozial integriert etc. Das alles spielt eine Rolle dabei, wie gewalthaltige Spiele wirken und ob sie überhaupt eine Faszination ausüben. Spiele wirken nicht einfach so von sich aus, sie machen jemanden nicht einfach gewalttätig. Der Nutzer selber bestimmt, welche Wirkung sie haben. 

Ines: Können Sie den Eltern Tipps mitgeben, um ihre Kinder «gut zu rüsten» für die Teilhabe an der heutigen Jugendkultur?

Dr. Florian Lippuner:

Tipp #1 
Fangen Sie bei sich an!
Wie steht’s um Ihren eigenen Medienkonsum, was leben Sie Ihren Kindern vor? Wieviel gamen Sie? Hantieren Sie permanent mit dem Handy oder läuft der Fernseher ohne Sinn und Zweck? Sind sie süchtig nach Medien oder süchtig nach sonst etwas? Sind Sie viel abgelenkt? Ich muss immer bei mir selber anfangen. Wie strukturiere ich meinen Alltag? Wie gut kann ich auf etwas verzichten? Wie gut kann ich mich auf etwas einlassen? Wie kann ich es dann auch geniessen? Wie nutze ich es für einen konstruktiven Alltag? Wie übertreibe ich es nicht? 

Tipp #2 
Achten Sie auf Ihr Kind!
Achten sie nicht so sehr auf die Spiele, achten Sie auf ihr Kind. Das ist viel wichtiger. Warum spielt es? Wie geht es ihm dabei und wie geht es ihm nachher? Welche Themen nimmt das Kind aus den Spielen mit und wie kann es das Gespielte in seinen Familienalltag integrieren? 

 Tipp #3  
Geben Sie Ihrem Kind Werte mit! 
Was man den Kindern mitgeben kann: Seine Haltung zu solchen Dingen. Und etwas anderes vorleben als das, was in solchen Spielen und auch Filmen gezeigt wird. Gewalt und andere Dinge, vor denen man seine Kinder am liebsten schützen würde, gehören zu unserer Gesellschaft. Ob sie jetzt im Game stattfinden oder in den Nachrichten oder auf dem Schulhof. 
Entscheidend ist hier das Motiv eines Kindes, solche Dinge zu spielen. Ist es bloss Neugier oder Angstlust? Oder wird dadurch etwas kompensiert? Um solche Dinge geht es. Und zwar nicht nur bei gewalthaltigen Spielen. Da sind wir bei anderen Bereichen der Gesellschaft, bei welchen wir unsere Kinder davor schützen möchten. Da sind wir wieder bei der Familie, bei Werten. Welche Werte gebe ich meinen Kindern mit, damit es in einer Situation, wo Gewalt in einem Game vorkommt, entweder nicht interessiert ist oder zumindest unterscheiden kann, was real ist und was nicht real ist.

Tipp #4 
Fördern Sie die Resilienz Ihres Kindes
Im Bereich Games braucht es einen fruchtbaren Umgang, den man Kindern mitgeben kann. Das ist unser Job in der Medienpädagogik, als Erziehungsberechtigte und Eltern. Man muss schauen, dass Kinder resilient sind, um auch gut mit Sachen umgehen zu können, die nicht besonders positiv sind. Das würde ich auch bei Fortnite so handhaben. Ich würde mal anschauen, ob das Kind das einfach mal ausprobieren will oder es andauernd spielt. Dann würde ich schauen, warum spielt es das dauernd? Gibt es da etwas, wo es etwas kompensiert oder spielt es das einfach, weil es sich dadurch mit Freunden austauschen kann. Sie kennen Ihr Kind am besten. Sie können es mit Tagesstruktur, Freizeitgestaltung, Alternativprogramm unterstützen. 

 Tipp #
Pflegen Sie mit Ihrem Kind einen offenen Austausch! 
Es geht nicht nur ums Gamen. Es geht um den Draht zwischen Menschen, um Vertrauen und um Austausch. Wenn Eltern sehen, dass ihr Kind ein Spiel besonders oft spielt, können sie sich mit ihm darüber austauschen. Das ist, wie wenn ein Kind ein Bild malt; dann fragen es die Eltern auch, was es da gemalt hat. Dabei entstehen Gespräche und Eltern erfahren dabei ganz viel darüber, was das Kind beschäftigt. Das ist bei Games genau gleich. Die Erkenntnis aus meiner Dissertation ist, dass die Computerspielnutzung ein Spiegel des Alltags und der Biografie ist von Kindern und jungen Erwachsenen. Durch das Reden über Games erfährt man viel. Man sollte nicht nur darauf schauen, wie lange ein Kind spielt. Das finde ich einen falschen Ansatz. Ich finde es besser, danach zu fragen, warum es spielt und wie es ihm nach dem Spielen geht. Ist es frustriert und wirft es das Gerät weg? Oder geht es ihm nach dem Spielen gut und es geht nach draussen Fussball spielen? Jedes Kind reagiert auf Games entsprechend seiner Medienkompetenz, dem familiären Wertesystem oder den jeweiligen Gepflogenheiten im nahen sozialen Umfeld. Eltern kommen hier am besten an ihr Kind heran, weil sie es am besten kennen. 

Ines: Wie ist ihr persönliches Verhältnis zu digitalen Spielen und würden Sie digitale Spiele mit Ihrem Sohn spielen? 

Bei mir hat das Ende Achtziger mit Atari und Commodore begonnen. Und dann ging es weiter mit dem GameBOY. Und zu Beginn der Neunziger kamen die ersten PC-Games, Monkey Island und die anderen LucasArts Adventures. Und gegen Ende der Neunziger hat das Internet das Gamen dann komplett revolutioniert. Ich bin gerade genug jung, um als Jugendlicher den Aufstieg des Internets miterlebt zu haben. Ich habe das damals intensiv genutzt und Ego-Shooter und Strategiespiele mit und gegen meine Freunde gespielt. Für die Generationen nach mir war das dann schon eine Selbstverständlichkeit. So ab 25 hat sich das mit dem Gamen bei mir dann verlaufen, einfach aus Zeitgründen und aufgrund anderer Prioritäten. Mit meinem Sohn zusammen beginnt das ganze Abenteuer jetzt sozusagen nochmals von vorne. Ich freue mich!

Ines: Vielen Dank für das interessante und persönliche Gespräch!

Dr. Florian Lippuner: Gern geschehen!


Interview mit Dr. Florian Lippuner
Kommunikationswissenschaftler mit Schwerpunkt Games
Herr Lippuner ist Vater eines 3-Jährigen Sohnes
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